Therapie zur Verminderung der Progression
Aus der Sicht 2012: Bis vor ca. 15 Jahren gab es nur wenige Optionen in der Behandlung der MS. Mit dem Interferon β kam ein erstes wirksames Medikament auf den Markt, das als Meilenstein der medikamentösen Therapie zu sehen ist. Es hat sich bis heute bewährt. Sein größter Nachteil ist die Notwendigkeit der Applikation mit einer Spritze. Dies ist auch einer der Hauptgründe für Therapieabbrüche und fehlende Compliance. Daher versuchte man von Beginn an auch eine orale Medikation zu entwickeln. Die parenteral zu verabreichenden Medikamente versuchte man über besser tolerierte Wege in den Körper zu bringen. Leider scheiterte man dabei durch die verminderte Aufnahme bzw. unsichere Bioverfügbarkeit. Fingolimod ist das erste Medikament, das per os eingenommen werden kann und eine vergleichbare oder besser Wirkung als die Referenzsubstanz Interferon-β hat.
Seit dem Frühjahr 2011 ist es auch in der EU zugelassen. Hier lesen Sie eine Zusammenfassung der Medikamente, mit ihrem Einsatzgebiet, Wirkungen und Nebenwirkungen.
Chronologie der Therapieentwicklung
Interferon beta-1-b und Glatiramer-Acetat
1995 gab es mit Interforn beta-1-b die erste immunmodulatorische Therapie für die Behandlung der Schubförmige Verlaufsform der MS (RRMS, Relapsing/Remitting Multiple Sklerosis).
In der Folge wurden noch verschiedene Formulierungen von Interferon-beta (INF-β) und Glatiramer-Acetat (Copaxone®) entwickelt.
Diese Medikamente entwickelten sich als Standard für die Behandlung der RRMS.
Frühe Behandlung. Es gibt mittlerweile für dien β-Interferone auch die Zulassung für die frühe Behandlung (CIS, Clinical isolated Syndrom).
Für die Therapie der sekundär progredienten MS (SPMS) wurde nur Interferon β-1b (Betaferon®) zugelassen.
Mitoxantron
2003 wurde Mitoxantron (Ebexantron®) für die sekundär progrediente MS zugelassen. Mitoxantron wird auch für die progressive schubförmige MS verwendet, wenn unter den immunmodulierenden Medikamenten es zu einer Verschlechterung kommt.
Mitoxantron hat den Nachteil, dass es toxisch wirkt (cardiotoxisch). Die kumulative Gesamtdosis begrenzt die Therapie.
Natalizumab
2006 wurde Natalizumab (Tysabri®) als erster monoklonaler Antikörper für die RRMS zugelassen. Natalizumab zeigte in Studien eine deutlich bessere Wirkung als INF-β und Glatiramer-Acetat.
Studien mit direkten Vergleichen von Natalizumab mit diesen Substanzen wurde bisher nicht durchgeführt.
Kurz vor der Zulassung trat bei einigen MS-Patienten, die Natalizumab erhielten, eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) auf. Die Zulassung erfolgte daher mit sehr strengen Sicherheitsauflagen. Natalizumab darf daher auch nur bei hochaktiven Verläufe der RRMS verwendet werden. Heute wird es bei Unverträglichkeit bzw. anderen Ausschlussgründen von Beta-Interferonen oder Glatirameracetat eingesetzt.
Laut Kassen-Information ist der Einsatz möglich bei (Zitat der österreichischen Kasseninformation):
Im begründeten Einzelfall kann eine Kostenübernahme als Monotherapie erfolgen, wenn die Verabreichung der ersten drei Infusionen im stationären Bereich erfolgte: Bei Pat. mit hochaktiver, schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose (MS), die auf einen vollständigen und angemessenen Zyklus einer Interferon-beta Therapie (Mindesttherapiedauer ein Jahr) nicht angesprochen haben und weiterhin eine hohe Krankheitsaktivität aufweisen. Bei diesen Pat. sollte es während der Therapie im vorangegangenen Jahr zu mindestens einem Schub gekommen sein, und sie sollten mindestens neun T2-hyperintense Läsionen in der kranialen MRT oder mindestens eine Gadolinium anreichernde Läsion aufweisen. – Die Indikationsstellung und Überwachung der Therapie mit Natalizumab sowie eine entsprechende Anamnese und gegebenenfalls Untersuchung vor jeder Infusion (cave: Kontraindikationen) muss durch einen in der Diagnosestellung und Behandlung von neurologischen Erkrankungen erfahrenen Spezialisten (Facharzt) in den anerkannten MS-Zentren.
Die PML ist eine Viruserkrankung des ZNS, die tödlich verlaufen oder mit schweren bleibenden Schäden einhergehen kann. Die Häufigkeit liegt bei Patienten, die Natalizumab bekommen bei 0,2 bis 2,8 je 1000 behandelter Patienten.
Fingolimod
Die Handelsbezeichnung lautet Gilenya®. 2011 wird mit Fingolimod die erste orale Medikation eingeführt, die für die schubförmige MS eingesetzt werden kann. Die bisherigen Studien lassen vermuten, dass die Wirkung besser als von β-Interferonen und Glatiramer-Acetat ist.
Fingolimod ist ein Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulator. Durch Bindung an die Sphingosin-1-Phosphat Rezeptoren, werden diese internalisiert – dies vermindert die im Blut zirkulierenden Lymphozyten, sie bleiben im lymphatischen Gewebe.
Nach Absetzen von Fingolimod stellt sich wieder eine Verteilung wie vor der Medikation ein – es verlassen wieder mehr Lymphozen das lymphatische Gewebe.
Diesen Mechanismus nutzt man. Durch das Zurückhalten der Lymphozyten im lymphatischen Gewebe, infiltrieren weniger autoaggresive Lymphozyten ins ZNS. Dies wurde auch in großen Klasse-I-Studien nachgewiesen. Auch eine signifikant überlegene Wirksamkeit gegenüber einer Standard-Therapie mit intramuskulärem Interferon beta-1a konnte gezeigt werden.
Bei der ersten Einnahme von Fingolimod ist es notwendig, die Herzfrequenz zu kontrollieren. Nach der ersten Einnahme sind Kontrollen des Blutbildes und der Leberfunktion empfohlen.
Die häufigsten Nebenwirkungen in der Phase-III-Studie (an der 1700 Patienten teilnahmen) waren: Influenza-Virus-Infektionen, Nasopharyngitis, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Rückenschmerzen, Diarrhoe, Bronchitis und Übelkeit. Die häufigsten abnormen Laborbefunde sind Lymphopenie und erhöhte Leberenzyme.
Schwerwiegende Nebenwirkungen waren: Tödlich verlaufende Herpesinfektionen (bei 2 Patienten), Herpes-simplex Enzephalitis.
Die österreichische Kasseninformation zur Verschreibung lautet:
Im begründeten Einzelfall kann bei erwachsenen PatientInnen mit hochaktiver, schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose (MS), die auf einen vollständigen und angemessenen Zyklus einer Interferon-beta Therapie (Mindesttherapiedauer ein Jahr) nicht angesprochen haben und weiterhin eine hohe Krankheitsaktivität aufweisen, eine Kostenübernahme als Monotherapie erfolgen. Bei diesen PatientInnen sollte es während der Therapie im vorangegangenen Jahr zu mindestens einem Schub gekommen sein, und sie sollten mindestens neun T2-hyperintense Läsionen in der kranialen MRT oder mindestens eine Gadolinium anreichernde Läsion aufweisen.