Arnold-Chiari-Syndrom

Hierbei handelt es sich um ein zu den Dysrhaphien zählendes, vielgestaltiges Fehlbildungssyndrom mit Fehlbildung im Bereich der hinteren Schädelgrube und des kraniospinalen Überganges. Es werden 3 Formen beschrieben:

Chiari I (CM-I)

Verlagerung der Kleinhirntonsillen in den oberen zervikalen Spinalkanal. Die Kombination mit basilärer Impression, atlanto-okzipitaler Assimilation und zervikaler Syringomyelie ist möglich. Klinisch finden sich Zeichen der Kompression von Medulla oblongata und Halsmark sowie Liquorzirkulationsstörungen.

Anders formuliert: Die Chiari-Malformation Typ I (CM-I) ist eine strukturelle Anomalie, bei der Teile des Kleinhirns durch das Foramen magnum in den Spinalkanal verlagert sind. Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad der Symptome und dem Vorhandensein begleitender Pathologien wie Syringomyelie.

Therapieoptionen der CM-I

1. Konservative Therapie

Bei asymptomatischen oder mild symptomatischen Patienten kann ein konservatives Vorgehen mit regelmäßiger klinischer und bildgebender Überwachung angemessen sein. Dies gilt insbesondere, wenn keine neurologischen Defizite oder begleitende Syringomyelie vorliegen.

2. Chirurgische Therapieoptionen

Die chirurgische Behandlung zielt darauf ab, den Liquorfluss zu normalisieren und den Druck auf neuralen Strukturen zu reduzieren. Die Wahl des Verfahrens hängt von individuellen anatomischen Gegebenheiten und dem Vorhandensein von Begleiterkrankungen ab.

2.1 Subokzipitale Dekompression (SOD)

    • Verfahren: Entfernung eines Teils des Os occipitale und ggf. des hinteren Bogens von C1.

    • Ziel: Schaffung von mehr Raum im Bereich der hinteren Schädelgrube zur Druckentlastung.

2.2 Duraplastie

    • Verfahren: Eröffnung der Dura mater mit Erweiterung durch ein Transplantat (z. B. autologes oder synthetisches Material).

    • Vorteil: Kann den Liquorfluss effektiver wiederherstellen und Symptome lindern.

    • Risiken: Erhöhtes Risiko für Komplikationen wie Liquorlecks oder aseptische Meningitis.

2.3 Tonsillenreduktion

    • Verfahren: Resektion oder Koagulation der herniierten Kleinhirntonsillen.

    • Indikation: Bei persistierenden Symptomen trotz Dekompression oder bei ausgeprägter Tonsillenherniation.

2.4 Shunt-Implantation

    • Verfahren: Einlage eines Shunts zur Ableitung von Liquor bei begleitender Syringomyelie oder Hydrozephalus.

    • Ziel: Reduktion der Syrinxgröße und Druckentlastung.

Evidenzbasierte Empfehlungen für CM-I

Laut den aktuellen Leitlinien der Congress of Neurological Surgeons (CNS) aus dem Jahr 2023:

    • Posterior fossa decompression (PFD) mit oder ohne Duraplastie kann Symptome lindern und die Größe einer Syrinx reduzieren.

    • Es gibt keine eindeutige Evidenz dafür, dass eine Duraplastie oder Tonsillenreduktion in allen Fällen erforderlich ist.

    • Die Entscheidung für eine spezifische chirurgische Technik sollte individuell getroffen werden, basierend auf Symptomen, anatomischen Befunden und dem Vorhandensein einer Syringomyelie. 

Komplikationen und Nachsorge

    • Mögliche Komplikationen:
      • Liquorlecks
      • Aseptische Meningitis
      • Pseudomeningozele
      • Okzipitozervikale Instabilität

    • Nachsorge:
      • Regelmäßige klinische und bildgebende Kontrollen (z. B. MRT) zur Beurteilung des Therapieerfolgs und frühzeitigen Erkennung von Komplikationen.

Fazit zur Therapie der CM-I

Die Behandlung der Chiari-Malformation Typ I erfordert eine individualisierte Herangehensweise, die symptomatische Präsentation, anatomische Besonderheiten und begleitende Pathologien berücksichtigt. Die Entscheidung zwischen konservativem Management und chirurgischer Intervention sollte auf einer sorgfältigen Abwägung der Risiken und potenziellen Vorteile basieren.

Links zu CM-I

Für weiterführende Informationen und detaillierte Leitlinien empfiehlt sich die Lektüre der 🕸️CNS-Leitlinien

Chiari II (CM-II)

Hierbei handelt es sich um ein komplexeres Bild mit knöchernen Störungen der hinteren Schädelgrube, Erweiterung des Foramen magnum, Veränderungen der harten Hirnhäute und des Tentoriums, Deformitäten von Mittelhirn, Pons, Cerebellum und Medulla oblongata, häufiger Verlagerung von Teilen des Rhombenzephalons in den oberen Spinalkanal, Störungen von Ventrikeln und Zisternen, konnatalem Hydrocephalus occlusus und Meningomyelozelen (meist lumbosakral). Bei der sich aus diesen Störungen ableitenden klinischen Symptomatik stehen die Meningomyelozele und die Zeichen des Hydrocephalus occlusus im Vordergrund.

Therapieoptionen der CM-II

Die Chiari-Malformation Typ II (CM-II) ist komplexer als Typ I, da sie fast immer mit einer offenen Spina bifida (Myelomeningozele) und häufig Hydrozephalus vergesellschaftet ist. Sie tritt meist pränatal oder im frühen Kindesalter auf. Die Therapie zielt auf die Behebung struktureller Fehlbildungen und die Vermeidung neurologischer Folgeschäden ab.

    • Therapieziele bei CM-II
      • Druckentlastung des Hirnstamms und oberen Rückenmarks
      • Verbesserung des Liquorflusses
      • Behandlung des Hydrozephalus
      • Korrektur der Spina bifida
      • Prävention sekundärer Schäden

1. Behandlung des Hydrozephalus
Fast alle CM-II-Patienten entwickeln einen Hydrozephalus.

1.1. Ventrikuloperitonealer Shunt (VP-Shunt)

    • Standardverfahren zur Liquorableitung
    • Shunt von Ventrikel zu Peritonealraum
      • Komplikationen: Infektion, Überdrainage, Fehlfunktion

1.2 Endoskopische Drittventrikulostomie (ETV)

    • Alternative bei bestimmten anatomischen Gegebenheiten
    • Nicht bei allen CM-II-Fällen durchführbar

2. Chiari-Dekompression

Methode: Posterior Fossa Dekompression (PFD)

    • Subokzipitale Kraniektomie + ggf. C1-Laminektomie
    • Duraplastie kann zur Erweiterung der hinteren Schädelgrube erfolgen
    • Ziel: Dekompression des Hirnstamms, Verbesserung des Liquorflusses

Anmerkung: In CM-II wird diese Operation nicht immer primär durchgeführt, da die Symptomatik oft sekundär durch Hydrozephalus oder Spina-bifida-Folgen entsteht.

3. Behandlung der Myelomeningozele

Postnatale chirurgische Versorgung

    • Innerhalb der ersten 24–48 Stunden nach Geburt
    • Ziel: Schutz des Rückenmarks, Infektionsprophylaxe

Fetale (intrauterine) Operation

    • Zwischen 19. und 26. Schwangerschaftswoche
    • Ziel: Reduktion der CM-II-assoziierten Hirnstammverlagerung und des Hydrozephalus-Risikos
    • Nach MOMS-Studie (Management of Myelomeningocele Study, 2011) signifikante Verbesserung der neurologischen Entwicklung und geringerer Shuntbedarf (Adzick et al., 2011, NEJM)

4. Symptomorientierte Therapie

    • Schluckstörungen, Atemprobleme: Logopädie, ggf. Tracheostomie
    • Bewegungsstörungen, Spastik: Physiotherapie, ggf. orthopädische Maßnahmen
    • Urologische Probleme: Urodynamik, intermittierender Katheterismus

Links zu CM-II

    • Adzick et al. (2011). A Randomized Trial of Prenatal versus Postnatal Repair of Myelomeningocele. NEJM.
    • Bowman RM et al. (2001). Chiari II Malformation: Implications for Surgical Treatment. Neurosurg Focus.
    • American Association of Neurological Surgeons (AANS) Guidelines: 🕸️www.aans.org

Chiari III (CM-III)

Die Chiari-Malformation Typ III (CM-III) ist eine äußerst seltene und schwerwiegende Fehlbildung des hinteren Schädels und des Kleinhirns. Sie ist gekennzeichnet durch eine okzipitale oder hochzervikale Enzephalozele, bei der Teile des Kleinhirns und/oder Hirnstamms durch einen Knochendefekt nach außen vorgewölbt sind. Diese Form tritt meist pränatal oder unmittelbar nach der Geburt auf und geht häufig mit Hydrozephalus und anderen Fehlbildungen einher.

Therapieoptionen der CM-III

    • Reposition und Schutz der herniierten Hirnstrukturen
    • Wiederherstellung des Liquorflusses
    • Behandlung des Hydrozephalus
    • Vermeidung weiterer neurologischer Schäden

1. Chirurgische Behandlung der Enzephalozele

Die primäre Therapie besteht in der operativen Versorgung der Enzephalozele.

1.1 Reposition und Resektion

    • Ziel: Vitales Hirngewebe wird, wenn möglich, reponiert; nicht funktionstüchtiges Gewebe wird reseziert.
    • Vorgehen: Sorgfältige Präparation zur Vermeidung von Schäden an angrenzenden Strukturen.

1.2 Duraler Verschluss

    • Ziel: Wasserdichter Verschluss zur Verhinderung von Liquorlecks.
    • Material: Autologe oder synthetische Duraersatzmaterialien.

1.3 Kranioplastik

    • Ziel: Rekonstruktion des knöchernen Defekts zur Stabilisierung und Schutz des Gehirns.
    • Material: Patienteneigenes Knochenmaterial oder biokompatible Implantate.

2. Behandlung des Hydrozephalus

Ein begleitender Hydrozephalus tritt in etwa 50–88 % der Fälle auf.

2.1 Ventrikuloperitonealer Shunt (VP-Shunt)

    • Indikation: Bei Nachweis eines kommunizierenden oder obstruktiven Hydrozephalus
    • Ziel: Ableitung überschüssigen Liquors zur Druckentlastung.

2.2 Endoskopische Drittventrikulostomie (ETV)

    • Indikation: In ausgewählten Fällen mit obstruktivem Hydrozephalus.
    • Vorteil: Vermeidung eines implantierten Shuntsystems.

Diagnostik und präoperative Planung

    • Bildgebung
      • MRT: Beurteilung der Enzephalozele, Hirnstrukturen und Liquorräume.
      • MR-Venographie: Darstellung venöser Sinus zur Vermeidung intraoperativer Komplikationen.
    • Pränatale Diagnostik
      • Ultraschall: Erste Hinweise auf Enzephalozele.
      • Fetale MRT: Detaillierte Beurteilung der Hirnstrukturen und Planung der postnatalen Therapie.

Prognose der CN-III

Die Prognose bei CM-III ist insgesamt ungünstig, jedoch variabel:

    • Sterblichkeit: In einer Literaturübersicht wurden 7 Todesfälle unter 51 dokumentierten Fällen berichtet.
    • Entwicklung: Viele Überlebende zeigen Entwicklungsverzögerungen; einige erreichen jedoch ein akzeptables neurologisches Funktionsniveau.

Eine frühzeitige Diagnose und Intervention können die Prognose verbessern.

Links zu CM-III